Tagesspiegel 01.09.2021 von Boris Buchholz
Das sanierte Bahnhofsgebäude ist schon mal ein Hingucker und drumherum ist jede Menge Platz – zum Beispiel für einen Zehlendorfer Event- und Kulturort. Christian Gérôme kann sich auf 12 000 Quadratmetern Grundstück vieles vorstellen – von einer Schule bis hin zu Townhouses. Ein Ortstermin.
12 000 Quadratmeter können ganz schön lang sein. Investor Christian Gérôme gehört ein solches Grundstück, in bester Lage in Zehlendorf-Mitte. Er hat vor drei Jahren das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Zehlendorf erworben; das Areal zieht sich zwischen den Gleisen der S1 und der Anhaltiner Straße vom S-Bahnhof Zehlendorf bis fast an die Königsstraße. Und Gérôme will was draus machen. 1838 wurde der Bahnhof in Betrieb genommen, seit gut 60 Jahren hält jedoch kein Güterzug mehr in Zehlendorf – das Bahngelände wurde zur Brache, auf der sich kleinere Gewerbebetriebe ansiedelten. Autos und Bauteile werden dort gelagert, Handwerksbetriebe nutzen die Flächen. „Ich habe hier Potenzial gesehen. Das lag ja bisher alles in einer Art Dornröschenschlaf“, sagt Christian Gérôme beim Ortstermin. Das historische Bahnhofsgebäude ist bereits aus seinem tiefen Schlaf erwacht. Jetzt ist das gelbe Backsteinhaus saniert und renoviert. Das „Brixen“ ist eingezogen, ein Veranstaltungsort, in dem private Hochzeiten ebenso gefeiert wie kleinere Konferenzen abgehalten werden können. Die ersten Events hätten bereits stattgefunden, berichtet der Investor, ab September oder November könnten auch öffentliche Lesungen, Kammerkonzerte oder Theateraufführungen das Kulturleben im Südwesten bereichern. Neben einem 160 Quadratmeter großen Saal mit Kronleuchtern im Hochparterre haben die Betreiber einen weiteren Raum für Veranstaltungen im Keller geschaffen – mit großformatigen abstrakten Bildern, gemütlichen Sofas und stilvollen Leuchten. „Konferenzraum“ steht an der Tür. Dass hier vielleicht auch bei Events getanzt wird, kann man sich noch besser vorstellen. Der historische Güterbahnhof – der Geländeteil gleich hinter dem heutigen S-Bahnhof – soll auf Dauer erhalten werden. „Ich will etwas Besonderes daraus machen, etwas, womit wir der Gesellschaft etwas zurückgeben können“, sagt Christian Gérôme. Auf rund 2000 Quadratmetern soll ein Gelände mit „ richtigem Dorfcharakter“ entstehen. Der Hof soll begrünt werden, vielleicht können dort Bänke aufgestellt werden. Der Eigentümer will das Thema Bahn aufgreifen, vielleicht mit einem alten Speise- und einem Schlafwagen. Beide könnten direkt am „Brixen“ aufgestellt werden, vielleicht sogar eine alte Lok.
Ein würdiger Umgang mit der Geschichte sei ihm wichtig: „Viele denken ja, dass sie Gebäude, die nicht unter Denkmalschutz stehen, ohne weiteres abreißen können. Ich sage: Solche Gebäude müssen ganz besonders erhalten und integriert werden.“ Der historische Teil des Geländes werde deshalb dauerhaft im Familienbesitz bleiben – oder an eine Stiftung übertragen zu werden, sagt er. Was auf den übrigen 10 000 Quadratmetern hinter dem historischen Gebäude entstehen soll, weiß er noch nicht. „Man könnte dort eine Schule bauen oder Wohnungen in sehr hochwertiger Architektur platzieren. Man könnte aber auch eine Seniorenresidenz integrieren – alles, was wir in Zehlendorf irgendwie brauchen.“ Er sei für Vorschläge offen. Bedarf für eine Luxus-Shoppingmall sehe er dagegen nicht. Da das ehemalige Bahngelände 2017 entwidmet wurde, muss ein Bebauungsplan klären, was dort nun errichtet und angesiedelt werden darf. Was passt zu Zehlendorf-Mitte? Im Januar 2018 beschloss das Bezirksamt, einen solchen Plan mit der Nummer 6-43 zu erarbeiten. In der Begründung zum Aufstellungsbeschluss machen die Stadtplaner klare Vorgaben: Etwa 45 Wohneinheiten mit einer Bruttogeschossfläche von zirka 4500 Quadratmetern „sowie ergänzende grüne, soziale und kulturelle Infrastruktur“ sollen geschaffen werden. „Eine Mischung aus Wohnen und ergänzenden gemischten Nutzungen“ sieht auch die 2019 vom Senat beschlossene Änderung des Flächennutzungsplans vor. Den verbindlichen Bebauungsplan des Bezirks gibt es jedoch nicht. „Wir sind noch nicht weitergekommen“, so Christian Gérôme. Sicher scheint aber zu sein: Wohnungen für den kleinen Geldbeutel werden am Alten Güterbahnhof Zehlendorf wohl nicht gebaut. Der Investor spricht von „hochwertiger und liebevoller Architektur“, die vielleicht mit dem Architekturbüro Patschke, das das Adlon gebaut hat, geplant werden könnte. Eventuell könnten Townhouses für 20 Familien entstehen, vielleicht auch mehr. Es gebe Grenzen: „So groß ist das Grundstück nicht, dass wir 50 Wohneinheiten platzieren könnten.“ Und deshalb werde auch das Berliner Modell der kooperativen Baulandentwicklung nicht greifen – erst ab 49 Wohneinheiten müssten 30 Prozent Sozialwohnungen geschaffen werden. Ein wichtiges Detail erschwert eine Gesamtplanung für die Fläche des alten Güterbahnhofs: Es handelt sich um zwei Grundstücke, die zwei verschiedenen Eignern gehören. Als die Deutsche Bahn sich entschied, das Areal zu veräußern, waren zwei DB-Firmen beteiligt. Erst verkaufte die Vivico einen sechs Meter langen Grundstücksstreifen direkt an der Anhaltiner Straße; dann bot die DB Immobilien die Fläche dahinter zum Kauf an. Vereinfacht gesagt: Von der Anhaltiner Straße kommt man auf das Grundstück von Christian Gérôme fast nur über den Sechs-Meter-Streifen seines Nachbarn. Ganz stimmt das nicht, denn am Bahnhofsgebäude reicht sein Grundstück bis zur Straße und auch weiter hinten ist ein Zugang von der Anhaltiner Straße offen. Damit das gesamte Areal bebaut werden kann, müssten sich die beiden Grundstücksbesitzer einigen – ob auf einen Verkauf des Sechs-Meter-Streifens oder eine Kooperationsvereinbarung. Christian Gérôme kann sich einiges vorstellen. „Wir sind in guten Gesprächen.“ Der Nachbar hat nur einen offensichtlichen Nachteil: „Die Gebäude, die auf dem Nachbargrund stehen, sind nach meinen Erkenntnissen bis auf das alte Gebäude vorne, nicht genehmigt worden.“ Aus Sicht von Christian Gérôme wurden Abstände zu seinem Grundstück sowie Brandschutzbestimmungen nicht eingehalten. Er fordert deshalb den Abriss der nicht genehmigten Bauten. Für ihn stelle sich die Frage, wie lange eine Berliner Verwaltung dafür benötige, Schwarzbauten zu beseitigen. Die Nutzung des Sechs-Meter-Streifens ist elementar. Denn bei einer Bebauung besteht die Stadtplanungsbehörde des Bezirks auf einer Verbreiterung der Anhaltiner Straße. Eine sinnvolle Forderung: Bisher existiert auf der Seite zur Bahn kein Fußweg. In der kleinen Straße gibt es nur eine einzelne Park- und eine Fahrspur; begegnen sich zwei Autos, ist die Straße blockiert. Egal ob Wohnhäuser oder ein Seniorendomizil – ein zweiter Bürgersteig und mehr Fahrfläche wären zwingend, zumal die Anhaltiner Straße auch zum bezirklichen Radroutennetz gehört. Zwei bis vier Meter des Sechs-Meter-Streifens müssten dem neuen Gehweg weichen, schätzt Christian Gérôme. Zeitdruck scheint der Hausbesitzer, der die Grunewalder Firma „Allgemeine Immobilien-Börse“ betreibt, nicht zu haben. Er habe keine Eile, sagt Christian Gérôme wiederholt im Gespräch. Wann der Bebauungsplan fertig sei und wann eine Baugrube ausgehoben werden würde, könne er nicht sagen. Aber egal, was gebaut werde, eines sei ganz klar: „Architektonisch muss es eine Glanzleistung werden. Hier kommt kein Schuhkarton hin.“